Vorstellung der DFG-Forschungsgruppe zur Personenreferenz von Prof. Dr. Susanne Günthner an der Xi’an International Studies University in Xi’an/China
Während ihres Besuchs an der Xi’an International Studies University (XISU), VR China, hielt Prof. Dr. Susanne Günthner auf Einladung von Prof. Dr. Zhao Yonggang, dem stellvertretenden Dekan der Fakultät für Englisch, am 27. September 2024 einen Vortrag zum Thema „Oncological Consultations between Doctors and Patients“. Zunächst stellte sie die Forschungsgruppe „Praktiken der Personenreferenz“ sowie das von ihr und Prof. Dr. Wolfgang Imo geleitete Teilprojekt „Pronominale Personenreferenz in onkologischen Aufklärungsgesprächen“ vor. Anhand von Datenbeispielen analysierte sie Formen und Funktionen von Anredeformen in diesen onkologischen Arzt-Patienten-Gesprächen und veranschaulichte die Funktionen dieser namentlichen Adressierungen der PatientInnen durch die ÄrztInnen: So wurden solche individualisierten, namentlichen Anreden u.a. zur Einleitung sensibler Informationen wie auch zum Themenwechsel eingesetzt und damit die erhöhte Aufmerksamkeit der PatientInnen auf die nun folgende Information gelenkt. Zugleich haben diese subjektivierten Anreden die Funktion, den PatientInnen zu vermitteln, dass sie nicht nur ein „Fall von vielen“ sind, sondern der/die ÄrztIn sich an ihnen als Individuum ausrichtet.
In der folgenden Diskussionsrunde wurden Fragen zur Kommunikation in „hoffnungslosen“ Behandlungssituationen sowie zur Übermittlung schlechter Nachrichten in medizinischen und psychologischen Gesprächen gestellt. Eine weitere Frage bezog sich auf die pragmatische Bedeutung der namentlichen Anrede von Kindern durch ihre Eltern, wobei auch hier die SprecherInnen eine erhöhte Orientierung am Gegenüber signalisieren, die für unterschiedliche Zwecke (Darlegung heikler Sprechhandlungen, Modalitäts- bzw. Themenwechsel etc.) eingesetzt werden.
Am 9. Oktober 2024 stellte Prof. Susanne Günthner auch im Austausch mit KollegInnen der Fakultät für Deutsch die DFG-Forschungsgruppe der KollegInnen der Universitäten Münster/Hamburg/Essen vor, wobei sie u.a. den Bewerbungsprozess und die Nachwuchsförderung im Projekt thematisierte. Diese beiden Aspekte stießen auf großes Interesse von Seiten des chinesischen Kollegiums.
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Vergangene Veranstaltung
Tagung: Konzepte der gebrauchsbasierten Pronomenbeschreibung – Chancen sprachkontrastiver Betrachtungen
23.-24. November 2023
Universität Hamburg | Staats- und Universitätsbibliothek
Vortragsraum | HG 154 (1. Etage)
Von-Melle-Park 3, 20146 Hamburg
Programm
Tagungsprogramm-23.11-24.11-Hamburg-1Herunterladen
Konzeption
Der Vergleich unterschiedlicher Sprachen, sei es innerhalb von Sprachfamilien oder über deren Grenzen hinaus, erweist sich in vielerlei Hinsicht als gewinnbringend: Im Kontrast lassen sich Systematiken erkennen, linguistische Phänomene reflektieren und sowohl vermeintliche Regularitäten als auch bestehende Beschreibungskategorien problematisieren, die bei einzelsprachlicher Betrachtung im Verborgenen zu bleiben drohen. Der Blick in andere Sprachen schärft somit die selbst angelegten Beschreibungskategorien (Gunkel/Zifonun 2012). Insbesondere mit Blick auf Pronomen, die sich hinsichtlich ihrer Funktionen im Gebrauch in den Sprachen der Welt als äußerst komplexe sprachliche Ressourcen darstellen (Dryer/Haspelmath 2013), erweist sich eine kritische Reflexion der Gegenstandsadäquatheit und Exhaustivität der zu ihrer systematischen Beschreibung mobilisierten Konzepte als zentral.
Hier setzt das zentrale Ziel der geplanten Tagung an, im Rahmen derer sowohl ExpertInnen des sprachvergleichenden Pronomengebrauchs als auch Mitglieder der Forschungsgruppe zum Pronomengebrauch im Deutschen konzeptuelle Ansätze und Ergebnisse ihrer gebrauchsbasierten Beschreibung präsentieren und diskutieren: Im Rahmen des zweitägigen Austauschs sollen bekannte konzeptuelle Beschreibungsparameter wie Referenz und referenzielle Ambiguität (De Cock 2016), Engagement (Bergqvist/Knuchel 2019) und Agentivität (Bergqvist 2011; Enfield/Kockelman 2017) sowie die Katego- rien der Spezifizität respektive Generizität (Sidnell 2021), Definitheit respektive Indefinitheit (Haspelmath 1997) und Inklusivität respektive Exklusivität (Cysouw 2013) mit Blick auf die verschiedenen in den Tagungsbeiträgen untersuchten Sprachen beleuchtet und kontrastiv reflektiert werden. Vor die- sem Hintergrund lassen sich schließlich prototypische und nicht-prototypische Verwendungen kontrastieren und Systematiken sensibel austarieren (Helmbrecht 2015). Eingeladen sind daher Vorträge, die sich mit dem Einsatz solcher und ähnlicher Konzepte in der gebrauchsbasierten Pronomenbeschreibung sowie auch möglichen Ansätzen der datengetriebenen Generierung entsprechender weiterer Beschreibungsparameter auseinandersetzen. Gerade mit Blick auf das Deutsche werden die genannten Konzepte bisher allerdings nur selten zur empirischen Erforschung des Pronomengebrauchs mobilisiert (vgl. jedoch Günthner 2021; Auer/Stukenbrock 2018; Hendricks/Imo eingereicht; Mostovaia/Federoskaja/Imo eingereicht). Auf der Grundlage unterschiedlicher authentischer Datenkorpora diskutieren die Mitglieder der Forschungsgruppe in ihren Beiträgen Grenzen und Möglichkeiten der Anwendbarkeit der genannten Konzepte und präsentieren eigene konzeptuelle Ansätze zur Beschreibung der Pronomenverwendung im Deutschen.
Im Rahmen dieser multiperspektivischen Auseinandersetzung mit Konzepten der gebrauchsbasierten Pronomenbeschreibung in verschiedenen Sprachen verfolgt die Tagung das übergreifende Ziel, den Austausch zwischen den Beteiligten der Forschungsgruppe und ExpertInnen im Bereich der empirischen Pronomenforschung zu stärken und mögliche Anschlussfähigkeiten aufzuspüren.
Für die eingeladenen ExpertInnenvorträge sind 40+20 Minuten vorgesehen, Vorträge aus der For- schungsgruppe umfassen 25+15 Minuten. Zudem ist eine Postersession zu Dissertationsprojekten im Bereich der empirischen Erforschung von Pronomen geplant.
Die Tagungssprache ist Deutsch. Vorträge können auf Deutsch oder Englisch gehalten werden.
Literatur
Auer, Peter; Stukenbrock, Anja (2018): When ‘You’ Means ‘I’: The German 2Nd Ps.Sg. Pronoun du between Genericity and Subjectivity. In: Open Linguistics 4 (1), 280–309.
Bergqvist, Henrik (2011): Agentivity and Status in Yukatekan languages. In: Avelinio, Heriberto (Hg.): New perspectives in Mayan linguistics, 242-256. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing.
Bergqvist, Henrik & Knuchel, Dominique (2019): Explorations of Engagement: Introduction. In: Open Linguistics 5 (1), 650-665.
Cysouw, Michael (2002): ‘We’ rules: The impact of an inclusive/exclusive opposition on the paradigmatic structure of person marking. In: Simon, Horst & Wiese, Heike (Hg.): Pronouns: Grammar and Representation, 41-62. Amsterdam: Benjamins.
Cysouw, Michael (2013): Inclusive/Exclusive Distinction in Independent Pronouns. In: Dryer, Matthew S. & Haspelmath, Martin (Hg.) WALS Online (v2020.3) [Data set]. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.7385533 (Available online at http://wals.info/chapter/39, Accessed on 2023-03-02.)
De Cock, Barbara (2016): Register, genre and referential ambiguity of personal pronouns: A crosslinguistic analysis. In: Pragmatics 26 (3), 361-378.
Dryer, Matthew S. & Haspelmath, Martin (Hg.) (2013): WALS Online (v2020.3) [Data set]. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.7385533 (Available online at https://wals.info, Accessed on 2023-03-01.)
Enfield, Nick J. & Kockelman, Paul (Hrsg.): Distributed Agency: Oxford University Press.
Gunkel, Lutz; Zifonun, Gisela (2012): Deutsch im Sprachvergleich: Grammatische Kontraste und Konvergenzen. Berlin, Boston: De Gruyter.
Günthner, Susanne (2021): WIR im interaktionalen Gebrauch: Zur Verwendung des Pronomens der 1. Person Plural in der institutionellen Kommunikation – am Beispiel onkologischer Auflärungsgespräche. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 49 (2), 292–334.
Haspelmath, Martin (1997): Indefinite pronouns. Oxford: Clarendon Press (Oxford studies in typology and linguistic theory).
Hendricks, Dominic; Imo, Wolfgang (2023): Ärztliche Therapieentscheidungsempfehlungen in der Onkologie und die Rolle des Personalpronomens wir bei der Aushandlung ärztlicher agency. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik (79), S. 163-194
Helmbrecht, Johannes (2015): A typology of non-prototypical uses of personal pronouns: synchrony and diachrony. In: Journal of Pragmatics 88, 176-189.
Mostovaia, Irina & Federovskaya, Victora & Imo, Wolfgang (2023): Wir beide und мы с вами (‚wir mit Ihnen‘): Strategien zur Vagheitsreduktion im Gebrauch des Personalpronomens der 1. Person Plural in deutschen und russischen Diagnosemitieilungs- und Therapieplanungsgesprächen.
Sidnell, Jack (2021): Generic reference and social ontology in Vietnamese conversation. In: Language in Society 50 (4), 533-555.